Das kleine Reh, auf der Suche nach dem goldenen Schmetterling

Versuch macht klug – aber auf dem Weg zum Wissen begegnen uns viele Zweifel

Manchmal sind die spontanen Starts, die Besten. Die österreichische Volksschullehrerin Marieluise Fischer hat spontan ihre Geschichtenidee niedergeschrieben: die Fabel vom kleinen Reh, das in einem abgeschiedenen Wald lebt. Das Kitz macht Bekanntschaft mit einem goldenen Schmetterling und einem sprechenden Baum. Je unglaubwürdiger die Erzählung seiner Erlebnisse für die anderen Rehe klingen, desto entschlossener geht das Kitz den Dingen auf den Grund. Es macht sich mutig auf den eigenen Weg und entdeckt (Selbstwert-)Gefühle.

Marieluise Fischer ist als Debütantin ihren Weg gegangen und hat ihr Buchprojekt für Kinder ab 4 Jahren abgeschlossen – „In erster Linie deshalb, um mir später nicht vorwerfen zu müssen, ich hätte es nicht versucht“. 

das RehDas Bilderbuch wurde uns als Rezensionsexemplar kostenlos zur Verfügung gestellt!

Der erste Eindruck

Die Aufmachung ist mit einem farblich passenden Lesebändchen sehr hochwertig. Das Cover mit viel Freifläche erinnert an sehr alte Kinderbücher.

Der Leitspruch von Walt Disney lässt mich zunächst einen Comic erwarten. Aber weder Inhalt noch Aufmachung sind lustig oder drollig. Die Illustratorin von Diana Achte bietet eine gute Mischung aus Feinheiten und Texturen. Aber es bleibt düster in ihrem tiefen Wald. Die trüben aber nicht angsteinflößenden Hintergründe und die verhaltene Mimik der Tiere lässt die Szenerie eher bedrückt aussehen. Aber hier geht es auch nicht um ein einfaches Thema.

Wenn mich selbst eines auf die Palme bringt, dass ist es die Reaktion „stimmt ja garnicht“ anderer auf eigene Beobachtungen und Wahrnehmungen. Ständiges „Achtung/Vorsicht zu gefährlich“ nervt mich im Umgang von Erwachsenen mit Kindern. „Sei brav“ ist für mich so antiquiert, dass ich mich gerne darüber ereifere. All diese Reaktionen bekommt das kleine Kitz von seiner Herde und damit bekommt der Protagonist mich sofort an seine Seite.

„Folge deinem Herzen“ 

Der Ratschlag der Ricke weckt Assoziationen zum kleinen Prinzen von Antoine de Sainte-Exupéry „On ne voit bien qu’avec le cœur“. Kann die Spontan-Autorin in ihrem Werk diesem geweckten Anspruch an bildhafte Erläuterung und philosophische Klärung gerecht werden?

Zunächst strauchele ich über inhaltliche Ungereimtheiten: die Bekanntschaft der Eule – wo der Lebensraum des Kitz doch so abgeschieden ist und selten andere Tiere vorbeischauen. Ich folge dennoch der Intuition der vielen (!), weiteren Tiere und bleibe erneut verwirrt zurück, als das Kitz selbst zur klugen Eule wird. Sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht?

Fordernd – auffordernd

Fischers Sprache wimmelt von Adjektiven, bietet wörtliche Rede und beschreibenden Text, ist lebendig und abwechslungsreich – diese Ausdrucksweise fördert gut verständlich den Wortschatz. Die Textblöcke nehmen zunehmend mehr Raum ein.

Ich teile die Maximen Fischers, mutig sein Ziel zu verfolgen, Schwächere dennoch zu achten, auch ihnen ein Freund zu sein und damit alle zu einer besonderen Gemeinschaft zusammenzufassen.

Ich liebe Storytelling und Metaphern – aber ich verstehe die von ihr gewählten Bilder nur schwer. 

Für wen oder was steht der Schmetterling? Ist er das Sinnbild für die Adoleszenz?

An wen geht die Aufforderung „Sei hilfreich und gut?“ An die vorlesenden Eltern? Möchte die Autorin ihnen zurufen: „Habt vertrauen, dass die Kinder den eignen Weg bestehen“?

Vertraute Melodie mitgeben

978-3-03886-013-6 Ricke und KitzIch unterstelle diese Richtung und bin schlussendlich begeistert. Genau das denke ich: traut euren Kindern was zu, damit sie SELBST in Erfahrung bringen können, welcher Weg sich für Sie richtig anfühlt. Mischt Euch nicht ständig ein (oder erkennt es zumindest, wenn es dennoch passiert)!

Kinder sollen Träume haben und „einfach mal machen“ dürfen. Wer fair zu seinen „Mit -Tieren“ ist, der wird auch sein Ziel erreichen – und wird Unterstützung erfahren.

Eltern, versteht Euch als Weichensteller – aber bitte nicht als permanent sicht- und hörbares Mahnmal!

Ich kann endlich etwas – „Fliiiiiiiegen“ 

Oder richtet sich das Bilderbuch doch NUR an die Kitze? 

Dann möchte ich hinter allen herausgelesenen Aufforderungen zusätzliche Ausrufezeichen setzen:

    • Träumen ausdrücklich erlaubt!!! 
    • Traut euch was und vertraut euch!!!  
    • Helft Euch gegenseitig!!! 
    • Alles wird gut!!! 
    • Wenn ihr wisst wohin, werdet ihr auch ankommen!!!

Ist Empathie das Licht?

Goldener SchmetterlingMeine Mitgefühl reißt mich um. Dabei mag ich es nicht, wenn ich selbst beim Vorlesen weinen muss. 

Meine potenzielle Selbstleserin lässt sich dennoch auf das Buch ein, bleibt aber deutungsmäßig „im Wald“.

Der kleine Bücherfreund ward zum Vorlesen erst gar nicht gesehen – ihn hat das Buch bereits beim Durchblättern nicht angesprochen. Könnte an der düsteren Gestaltung liegen. Nach meinem Geschmack hätte das „Leuchten“ bei „Gutes tun“ intensiver sein dürfen. Vielleicht hätte er dann wissen wollen, was dies für ein Licht ist?

Spätestens der philosophische Ansatz und der Umfang hätte ihn wohl eh scheitern lassen.

Aufschlüsselung

In meiner Bewertung muss ich also nach Zielgruppen differenzieren.

Als Erwachsener (Vor-) Leser nenne ich Fischers Erstlingswerk eine schöne aber proppenvolle  Fabel, mit nicht ganz eindeutiger Richtung und mit Anspruch. Sie macht mich verbunden mit dem Protagonisten und regt zum Nachdenken an. Eine gute Leistung – erst recht für das Erstlingswerk.

Die Kinder schätzen das Lesebändchen und den Aufforderungscharakter zum Selbstlesen. Sie lassen das Werk inhaltlich ungerechtfertigt schwach dastehen. Philosophieren wollte mit mir nach dem Vorlesen keiner. Das stützt meine Einschätzung, dass durchaus ältere und gesprächswillige Kinder (<8 Jahre) sich eher für das Bilderbuch begeistern als ganz junge Zuhörer.

Ich denke, dass eine inhaltliche Eingrenzung, optisch niedlichere Gestaltung und mehr Mimik der Gesamtbewertung zuträglich gewesen wären. 

Vielleicht spricht Fischers nächstes Buch dann meine kleinen (Mit-)Leser mehr an.

Wie auch immer, ich nehme „Sei hilfreich und gut“ als Mantra mit auf meinen Weg und folge weiter meinen Träumen und die Bücherkinder hoffentlich ebenfalls.

Vielen Dank, Marieluise Fischer für das Rezensionsexemplar und die Aufschlüsselung des Motivs:  „Für mich steht der goldene Schmetterling für die Besonderheit, die in jedem steckt!“

Bibliografie

Text: Marieluise Fischer
Titel: Das kleine Reh, auf der Suche nach dem goldenen Schmetterling
Illustration: Diana Aghte
Art: Gebundenes Buch
Format: 218 x 12 x 277 mm
Umfang: 38 Seiten
Alter: ab 4 Jahre
Verlag: Österreichische Literaturgesellschaft
erschienen am: 20. November 2018
ISBN: 978-3-03886-013-6
Preis: 14,90€

Summary
Das kleine Reh, auf der Suche nach dem goldenen Schmetterling
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Das kleine Reh, auf der Suche nach dem goldenen Schmetterling
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Kinderbuchdebüt von Marieluise Fischer. Die Fabel vom kleinen Reh, das in einem abgeschiedenen Wald lebt. Das Kitz macht Bekanntschaft mit einem goldenen Schmetterling und einem sprechenden Baum. Je unglaubwürdiger die Erzählung seiner Erlebnisse für die anderen Rehe klingen, desto entschlossener geht das Kitz den Dingen auf den Grund. Es macht sich mutig auf den eigenen Weg und entdeckt (Selbstwert-)Gefühle. Erschienen am 20.11.2018 bei Österreichische Literaturgesellschaft. Illustration von Diana Aghte
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Publisher Name
Österreichische Literaturgesellschaft

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